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 Diskussion zum Gedanken "Die Problematik von Wundern" Antworten
So, 25. Oktober 2009, 20:29
Tanja 5462 Sprüche
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Diskussion zum Gedanken "Die Problematik von Wundern"
In meinem neusten Gedanken habe ich ein bisschen überlegt, wieso wir eigentlich - verglichen mit biblischen Zeiten - heutzutage keine Wunder mehr "bekommen". Hat Gott keine Lust mehr? Sind wir inzwischen weniger naiv?
Zitat Ich glaube, Wunder haben einfach keine Überlebenschancen mehr.
Es mangelt an der ehrlichen Nachfrage.
Oder gehört ihr (ich wette, Marie, du fühlst dich gerade angesprochen) zu denen, die jetzt heftig den Kopf schütteln?
Es würde mich interessieren, wie ihr zu dem Thema steht.
Kennt ihr Wunder?
Legt los!
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Allie Keys in "Taken"

Mo, 26. Oktober 2009, 17:46
steb-studio
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wunder passieren jeden tag - wir sind nur oft blind und taub fuer diese geworden. im normallfall einfach zu "erwachsen" - zu abgeklaert - zu vernuenftig
Mi, 28. Oktober 2009, 15:48
Mirea 5130 Sprüche
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Dass Wunder passieren, ist für mich sicher. Jeden Tag passieren Wunder.
Ich glaube, ganz wichtig ist es, erst zu definieren, was ist ein Wunder überhaupt? Wer sagt denn: "Das ist jetzt ein Wunder!" Es gibt auch persönliche Wunder, die der eine als Wunder empfindet, der andere als etwas anderes. Wer gibt denn die Definition für ein Wunder?

Was ist ein Wunder für mich? Meine ganz persönliche Definition war vor ein paar Wochen:
"Ein Wunder ist für mich, wenn etwas Positives passiert, das aus menschlicher Sicht sehr unwahrscheinlich oder unmöglich ist."
Somit muss ich dir Recht geben, dass wahrscheinlich die meisten Menschen nur positive Dinge als "Wunder" ansehen. Wie sonst kann man etwas "bewundern"?

Aber ist es nicht auch ein Wunder, wenn ein Mensch geboren wird?
Wenn man jemand ganz Besonderes trifft, der sein Leben verändert?
Man findet Wunder doch auch in den ganz kleinen Dingen, im alltäglichen Leben, doch man sieht sie nicht. Weil man nicht danach schaut, wir nehmen es als selbstverständlich hin.

[Spruch nicht vorhanden]
(Spruch 25801)



Wenn man sich mit Wundern beschäftigt, tun sich bei mir ganz, ganz viele Fragen auf:
Wie kann das sein, warum passiert ein Wunder? Wodurch werden sie ausgelöst?
Warum passiert dem einen ein Wunder, dem anderen nicht?
Sind Wunder an Bedingungen gebunden?
Warum hat Jesus Wunder vollbracht? Wie passen Wunder zu ihm als Person?
Gibt es eine allgemeingültige Definition von Wundern? Subjektiv oder objektiv?
Was waren Wunder damals, was sind sie heute?
Wären die Wunder von damals auch heute noch Wunder?
Ist Jesus eine Märchenfigur? Sind die Wunder unglaubwürdig? Und sind die biblischen Wunder übertrieben, wörtlic gemeint oder symbolisch?
Wo gibt es den Beweis für ein Wunder?
Bewirkt ein Wunder Glauben oder setzt es diesen voraus?

In der Bibel ist Jesus, der als Wunderheiler auftritt. Was ist jetzt erzähle, ist natürlich subjektiv. Jesus hat somit das Reich Gottes auf Erden gezeigt, doch man muss bedenken, dass es damals nicht unüblich war, wenn jemand besondere Fähigkeiten hatte. Es gab mehrere Wunderheiler und die Menschen haben an das Übernatürliche geglaubt. Früher existierte ein anderes Weltbild, die Menschen waren offen für Wunder.
Dass Jesus damals außergewöhnliche Taten vollbracht hat, die man "Wunder" nennt, bestreiten heute kaum noch die Bibelwissenschaftler. Und zu seiner Zeit glaube man an solch höhere Mächte, wobei wir heute solchen Geschehnissen skeptisch gegenüberstehen, da wir eher rational denken. Aber man vergisst, dass viele Natur- und Gesellschaftswissenschaftler unserer Zeit annehmen, dass die Natur nicht nur durch die physikalischen Gesetzesmäßigkeiten bestimmt ist, sondern auch viel Unerklärliches. Außerdem gibt es bewiesenermaßen Menschen, die paranormale Eigenschaften haben, Begabungen, die andere nicht haben (Telepathie etc.).
Also wird davon ausgegangen, dass auch Jesus "paranormale" Kräfte hatte, die er nur für Gutes einsetzte. Und das im kleinen Kreis. Also nicht sensationslustig. Aber sind es jetzt noch "Wunder"?

In der Bibel stehen Wunder meistens im Zusammenhang mit Sündenvergebung, seelische Wiederherstellung also. Sie dienten der Verherrlichung Gottes und keinem Show-Effekt. Man kann sagen, dass Glaube Wunder bewirkt hat, und Glaube gewissermaßen eine Vorraussetzung für Wunder war, denn Jesus verlangt immer wieder den Glauben daran und das Vertrauen in ihn.
Das, was Jesus von anderen Wunderheilern unterschieden hatte, war seine Absicht, denn damit hat viel Reden von sich gemacht. Und, wie gesagt, in der Antike waren Wunder nichts Widernatürliches.

Aber wie ist das heute?
Was ist heute ein Wunder?
Wer sieht sie?
Wer sieht sie bewusst?
Wer glaubt daran?

Tanja, du hast insofern Recht, dass die Menschen damals einfach offener waren für Wunder und wir das heute nicht mehr sind, dennoch bin ich der Meinung, dass es Wunder gibt, auch große, aber auch kleine, wir müssen nur hinsehen.

Es gibt auch heute noch Heilgottesdienste, in denen Menschen zum Teil wirklich ihre Leiden verlieren. Wie geht sowas? Ist es der Glaube an die Sache selbst? Der Glaube an Gott? Der Glaube an Wunder? Geschieht nur denen ein Wunder, die daran glauben? Nein.
Ich denke, jedem geschehen Wunder, nur wenige sehen sie. Vieles, was damals als Wunder galt, wird heute als selbstverständlich angesehen. Warum? Warum sehen wir es nicht trotzdem als etwas "Besonderes"? Warum nehmen wir den Wundern ihre Kraft?
Ich glaube an Wunder und ich weiß, dass es sie gibt. Auch heute noch. Jeden Tag, überall.

Ich hoffe, meine Gedankengänge sind etwas nachzuvollziehen und ich springe nicht zuuu viel hin und her... Dann tut's mir leid ;)
Mi, 28. Oktober 2009, 19:35
Tanja 5462 Sprüche
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Hey Mirea,
Du antwortest ausführlich. Find ich gut.
Dann versuche ich mal, zumindest auf ein paar deine Punkte einzugehen (und werde dabei wohl auch ausführlicher).

Ja, es ist ist wirklich nicht leicht, Wunder zu definieren. Und ja, das ist wohl notwenig, wenn man sagen will, ob Wunder heute noch existieren.
Ich kenne keine philosophischen Definitionen oder so, aber ich denke, ungangssprachlich trifft deine Dafinition den Punkt ganz gut. Wobei ich mir bei dem Positiv nicht sicher wäre... Wenn Jesus über Wasser geht, wird das als Wunder gesehen. Die Auswirkungen auf die Menschheit sind bei diesem Beispiel aber doch eher trivial, verglichen mit einer Wunderheilung - also auch nicht sonderlich positiv.
Ich würde also sagen: Ein Geschehnis, dass der Mensch sich, verglichen mit dem heutigen Stand der Wissenschaft oder dem gesunden Menschenverstand, nicht erklären kann.
(von dieser Definition ausgehend argumentiere ich jetzt mal weiter)

Was du daraufhin sagst, dass auch alltägliches ein Wunder ist - grenzwertig, aus meiner Sicht.
Es geschehen alltäglich phantastische Dinge, die man nicht für selbstverständlich nehmen sollte, ja.
Aber die Wunder tragen ihre Definition darin, dass sie unerklärlich erscheinen.
Dass Kinder geboren werden, dafür haben wir bereits eine (biologische) Erklärung.

Was wir nicht haben, ist ein Grund, wieso sie geboren werden. Nicht nur biologisch, sondern in Richtung "Sinn des Lebens" - Wer sind wir, wohin sollen wir?
Man kann also wohl in den meisten alltäglichen Dinge doch noch Fragen sehen, die ungelöst sind.
Ich denke auch, in diese Richtung dachtest du, als du gesagt hast, dass eine Geburt ein Wunder ist.

Zitat von Mirea 5130 SprücheUnd zu seiner Zeit glaube man an solch höhere Mächte, wobei wir heute solchen Geschehnissen skeptisch gegenüberstehen, da wir eher rational denken. Aber man vergisst, dass viele Natur- und Gesellschaftswissenschaftler unserer Zeit annehmen, dass die Natur nicht nur durch die physikalischen Gesetzesmäßigkeiten bestimmt ist, sondern auch viel Unerklärliches.

Darin stimme ich dir zu. Wenn man sich die Epochen ansieht, merkt man, dass der Mensch immer wieder schwank, zwischen Gefühl und Vernunft.
  • Die (vorsokratischen) Philosophen versuchten zum Beispiel teilweise, ein Weltbild aufzubauen, dass ohne Religion auskommt. Sie suchten eine "Urmasse", aus der alles entstand.
    Die Welt so zu betrachten, dass sie ohne metaphysische Erklärungen auskommt (wie ein Gott oder ein höherer Sinn und Zweck), sondern sie auf das Materielle zu begrenzen und daraus Schlüsse zu ziehen, ist ein Versuch von Rationalität. 
  • Großer Sprung: Mittelalter. Mensch glaubt an Gott, und damit sind alle weiteren Überlegungen eigentlich damit beschäftigt, herauszufinden, was er im Detail will. Er will zum Beispiel einen König (Gottesgnadentum). Und er will Hexenverbrennung. Und Kreuzzüge.
    Wo Gott so direkt eingreift, sind die Menschen auch bereit, in Geschehnissen Gottes Eingreifen zu sehen. Wunder (im Sinne von "Eingreifen durch Übermächte", was aus heutiger Sicht nicht als rational gilt), war also damals alltäglich). 
  • Noch ein Sprung: Aufklärung. Mensch wird rational und eigenverantwortlich. 
  • Und die zugehörige Gegenbewegung: Sturm und Drang. Mensch verlässt sich auf sein Gefühl. Was er empfindet, ist wahr und richtig. 

Das war jetzt nur ganz grob. Ich weiß auch nicht, ob mir da alle Reli- oder Deutschlehrer Beifall leisten würden.
Aber ich denke, es stimmt schon, dass wir eben gerade wieder eine rationale Welle erleben.
Deshalb lehnen viele Wunder, so wie sie in der Bibel stehen, als "Schwachsinn" ab.
Um Wunder objektiv zu betrachten, dazu sind wir wohl zu sehr gefesselt von den Einstellungen als "Kinder unserer Zeit".

Liebe Grüße,
Tanja
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Allie Keys in "Taken"

Fr, 6. November 2009, 15:20
Josef Bordat 97 Sprüche
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Ich habe mich jetzt mal in meinem Blog mit dem Wunderbegriff befasst. Vielleicht ist der Text ja hilfreich. Bis dann, Josef
Fr, 6. November 2009, 16:25
Josef Bordat 97 Sprüche
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Noch etwas
Das ist ein ganz tolles Thema und auch eine sehr schöne Diskussion, Tanja! Mit den meisten Punkten komme ich ganz gut klar. Nur: Deine ideengeschichtliche Skizze, hinter der – kurz gesagt – die These steht, „rationale“ und „irrationale Epochen“ wechselten sich ab, bereitet mir – auch wenn ich weder Reli- noch Deutschlehrer bin – etwas Bauchschmerzen. Du sagst zwar selbst, dass es eine grobe Darstellung ist, aber leider ist sie so grob geraten, dass es mich doch juckt, etwas zu erwidern.

Tatsache ist: Es hat immer beides gegeben und es gibt auch heute noch beides: Rationalität und Irrationalität. Und das ist auch gut so, da sich Vernunft und Gefühl bedingen und auf einander verwiesen sind.

Das Mittelalter ist nicht etwa eine dunkle Epoche der Irrationalität gewesen, zwischen „antiker Aufklärung“ und „neuzeitlicher Aufklärung“, sondern eine, in der die wichtigsten Universitäten Europas gegründet wurden, in der die Grundlage moderner Wissenschaft gelegt und (ganz modern!) transdisziplinär gearbeitet wurde, um den christlichen Glauben mit den Mitteln des Geistes, also der Vernunft (ratio), zu begründen (Thomas von Aquin). Im Hochmittelalter (9. bis 12. Jh.) fand ein intensiver globaler (was man damals dafür hielt!) Kulturaustausch statt (vor allem mit der arabischen Welt), bei der viele antike Traditionen (etwa Aristoteles) wiederentdeckt und für die Zukunft europäischen Denkens fruchtbar gemacht wurden. Insbesondere die (nicht ganz reibungslose) Annahme der arabischen (eigentlich: indischen) Zahlen durch die Europäer hat im Mittelalter die naturwissenschaftliche Forschung beschleunigt.

Auch der Wunderbegriff wird bei Thomas von Aquin in erster Linie erkenntnistheoretisch und ontologisch behandelt. Wie kann es sein, dass Gott an der Natur vorbei handelt? Darauf gibt er eine philosophische Antwort. Das alles passiert im 13. Jh. – ein halbes Jahrtausend vor der Aufklärung.

In diesem Zusammenhang kurz zu den Hexenverbrennungen.

1.) Die meisten Hexenverbrennungen gab es in Europa nicht im Mittelalter, sondern in der Frühen Neuzeit, v.a. im 16. und 17. Jh. Die letzte Hexe wurde in Deutschland 1775 verbrannt. Da war Kant schon 51 Jahre alt und die Aufklärung in Europa im Wesentlichen abgeschlossen.

2.) Hexenverbrennungen sind nicht Wille Gottes. Das ist im Mittelalter theologisch nie angezweifelt worden. Kirchliche Lehrschreiben des Spätmittelalters richten sich gegen die Hexenverbrennung. Die Bulle „Summis desiderantes affectibus“ („Hexenbulle“, 1484) enthielt zwar die Aufforderung, der Zauberei verdächtige Personen ernsthaft zu prüfen und bei bestätigendem Ergebnis zurechtzuweisen, zu inhaftieren und zu bestrafen, nicht aber, sie zu verbrennen. In Rom ist nie eine Hexe verbrannt worden, ebenso wenig im katholischen Spanien. Dort hat die Inquisition für ein rasches Ende des „Hexenwahns“ gesorgt.

3.) Hexenglaube ist Irr- bzw. Aberglaube. Das ist im Mittelalter theologisch nie bestritten worden. Kirchenrechtlich hat die „Hexenbulle“ nie Bedeutung erlangt, maßgebend war immer der Canon episcopi, der Hexenglaube als Einbildung ablehnte und bis zur Kirchenrechtsreform von 1918 im Kirchenrecht enthalten war. Der berüchtigte „Hexenhammer“ (Malleus Maleficarum, 1486) des Heinrich Kramer ist schon zu seiner Zeit scharf kritisiert worden, weil er der maßgeblichen Theologie und dem geltenden Kirchenrecht zuwider lief.

4.) Leider ist der Hexenwahn des Volkes(!) im Mittel- und Nordeuropa des 16. Jh. v.a. durch Luther und Calvin entfacht worden. Ich sage das nicht gerne, aber hätte es keine Reformation gegeben, wäre das Problem „Hexenwahn“ schneller beseitigt gewesen.

So, das wollte ich nur sagen.

Schönes WE!

Josef
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt am Fr, 6. November 2009 um 16:28 Uhr
Fr, 6. November 2009, 16:46
Tanja 5462 Sprüche
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Danke für die Antwort.
Zu meines Verteidigung: ich kann nur mit dem argumentieren, was ich weiß. Meine Grenzen schlagen also ziemlich schnell zu; und ich weiß, dass ich immer Gefahr laufe, mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, wenn ich solche Dinge schreibe.
Trotzdem halte ich es für besser, als alles so abstrakt und nichtssagend hinzustellen, dass man mich nicht angreifen kann - dann gibt es schließlich keine Diskussion :-)

Zitat von Josef Bordat 97 Sprücheauch wenn ich weder Reli- noch Deutschlehrer bin
Ihrer Webseite zuurteilen haben Sie Philosophie studiert - das ist schlimmer ;-)
Nein, ernsthaft... wie soll ich auf der Ebene argumentieren? :-)

Ich habe mit Thomas von Aquin schon öfter in der Schule Probleme gehabt, weil er nicht in mein Bild von Mittelalter gepasst hat. Und mir ist klar, dass es wohl immer kleinere oder größere Gegenbewegungen gibt. Schließlich sehnt man sich nach ein bisschen Vernunft, wenn alle um einen gottesfürchtig und verklärt sind, sowie man sich nach ein bisschen "darüber hinaus" sehnt, wenn alles rational und logisch ist.
Dass man aber von "Gegenbewegung" spricht, zeigt doch, dass es eine Hauptrichtung geben muss. Ich dachte nicht an die gebildete Oberschicht, kleine Gruppen oder das ganze Wissen, dass ein Volk in Büchern stehen hat, aber nicht anwendet. Wenn Sie von Schriftstücken im Mittelalter reden, dann vermute ich, Sie reden von einer kleinen Gruppe, da der Großteil nicht lesen und schreiben konnte.
Wollen Sie sagen, es gibt keine Ströhmungen, die für einen gweissen Zeitraum den Großteil mitreißt und eigene, typische Werke, Gedanken und Erfindungen hervorbringt?

Ich dachte an den Durchschnittsmenschen mit der Durchschnittsbildung, der im Mittelalter in erster Linie überleben und für seine Familie sorgen wollte, und der gar kein Interesse daran hatte, die Kirche ideologisch zu hinterfragen. Oder die französisch Enzyklopädie in der Aufklärung, die alles mögliche Wissen der gesamten Menschheit (und somit auch dem Durchschnittsmenschen) verfügbar machen wollte und unauffällig die Kirche kritisierte.
Ich dachte an Durchschnittsmenschen, weil ich selbst zu ihnen gehöre und den Gedanken für solche geschrieben habe. Dass Wunder in kleinen Glaubensgemeinschaften und im Fernsehen noch populär sind, okay. Aber das zähle ich nicht zur Hauptströmung. Weil ich meine Umgebung so einschätze, dass, wenn ein Mann über Wasser läuft, alle gerne mal die physikalische Erklärung hören würden, aber keiner annimmt, dass es sie nicht gibt.
Ich vermute, dass die Menschen seit der industriellen Revolution ein bisschen weniger rational und wirtschaftlich denken. Da aber die christlichen Kirchen ziemlich an Anhängern verlieren (zumindest die großen Konfessionen), Dan Brown unheimlich beliebt ist und Kreationisten auch bei vielen Gläubigen einen schlechten Ruf haben, glaube ich, dass wir mehr an unser Wissen gebunden sind, als verhältnismäßig andere Epochen.

So. Mittlerweile rede ich so schwammig, wie ich es eigentlich nicht wollte.
Und wahrscheinlich können Sie mir das auch wieder kaputtreden.
Aber ich bin bereit mich zu irren, wenn ich dabei was Neues erfahre :-)

Und zu Ihrem Blogeintrag: Sie schreiben größtenteils mit mir bekannten Worten - auch wenn ich nicht sicher bin, was beispielsweise die "Historizität der Wundern" sein soll. Ihre Satzlängen sind auch nicht übermäßig lang. Trotzdem steige ich irgendwie nicht durch.
Ich hoffe, Sie sind nicht beleidigt, wenn ich sage, dass ich den Punkt nicht verstehe, den Sie klarmachen wollen. Zwischen jeder Menge Nominalisierungen und ein paar netten Beispielen steckt irgendwo eine Aussage - und den finde ich, vielleicht auch wegen mangelnder Bildung, einfach nicht.
Nachdem schon einiger Ihrer Sprüche zu meinen Favoriten gehören, weil sie die Dinge so verständlich und gut auf den Punkt bringen, verstehe ich auch diesen Umschwung im Schreibstil nicht ganz.
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Hope is the biggest lie there is, and it is the best.
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Allie Keys in "Taken"

Sa, 7. November 2009, 13:38
Xian 1367 Sprüche
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Da muss ich Tanja 5462 Sprüche zustimmen. Die ganze Menschheit ist immer durch große Gegenbewegungen geprägt.

Wenn die Eltern von den Großeltern z.B. sehr restriktiv erzogen wurden, sehr behütet waren und eigentlich nichts eigenverantwortlich tun durften, schwören sich die Eltern "das tue ich meinem Kind nicht an" und schwenken mitunter ins andere Extrem. Die Kinder dürfen fast alles und genießen eine große persönliche Freiheit.
Die Kinder selbst fühlen sich dann aber eventuell oft allein gelassen und sagen sich "Wenn ich groß bin, werde ich immer für mein Kind da sein". Zack, da sind wir wieder!
Neben einigen anderen Bewegungen ("ich will das genauso machen wie meine Eltern!") ist diese Pendelbewegung die wichtigste und ausgeprägteste, die man immer und überall finden kann.

In der Musikgeschichte läuft es genauso ab:
  • Musik der Antike:
    Musik gilt als "bildend und veredelnd, unter Umständen auch als wunder wirkend."
    Musik wird frei überliefert, man spielt einfach drauf los, erlaubt ist alles, was gut klingt. 
  • Musik des Mittelalters (8. bis 15. Jahrhundert):
    Hucbald von Saint-Amand und einige andere pressen die Musik in feste Regeln und Tonarten. Guido von Arezzo entwickelt die Notenschrift - Musik muss notierbar sein! 
  • Renaissancemusik (15. bis 16. Jahrhundert)
    Grundlagen: Humanismus und Rückbesinnung auf die Antike:
    Lasst es mal wieder etwas besser klingen. Unsere heutigen Dreiklänge bilden sich, die Musik wird weit weniger wissenschaftlich, sondern wieder "schön". 
  • Barockmusik (ca. 1600 bis 1750)
    Musik ohne Gesang? Früher unvorstellbar! Jetzt wird es möglich!
    Musik muss bestimmten Regeln gehorchen. Fugen: Es wird mit verschiedenen Stimmen gearbeitet
  • Klassik (Frühklassik, Wiener Klassik) (ca. 1730 bis 1830)
    In der Frühklassik: Kein "Geflecht verschiedener Stimmen" mehr, stattdessen eine Hauptstimme, alles andere nur "Beiwerk" 
  • Musik der Romantik (19. Jahrhundert)
    Regeln? Wer braucht Regeln? Musik sind Gefühle!
    Ich steh im Wald und sehe viele kleine Elfen und Kobolde. So! Und das vertone ich jetzt mal. 
  • Neue Musik (20. und 21. Jahrhundert)
    Zwölftonmusik: Der Kommunismus in der Musik: Alle Töne sind gleichberechtigt. Sehr strikte Vorschriften, klingt deshalb auch kacke...
    Jazz/Blues: pure Improvisation. Man spielt einfach drauflos, Tonarten sind allerhöchstens ein Leitfaden.
    Rock/Metal: auch relativ frei. Hauptsache schief, hauptsache anti (Für diese Aussage werde ich wohl umgebracht...)
    Pop: was die breite Masse möchte. Dissonanzen sind nur in Ausnahmefällen erlaubt. Lasst es schön flach dudeln!
    HipHop: Guckt mal, ich kann gar nix und behaupte trotzdem, das sei Musik :-p 
Quelle: Wikipedia, Musikunterricht, Eigengeschmack

Ständig gibt es Gegenbewegungen und krasse 180°-Wendungen. Dabei vergisst man nicht die Fortschritte, die man gemacht hat (Instrumentenbau, Notation, Harmonien), sondern probiert einfach mal eine ganz neue Herangehensweise aus.

Gerade in der heutigen Zeit erkennt man die persönliche Freiheit und die Globalisierung. Auch Minderheiten können in Zeiten von Plattenverträgen und Internet jede Menge Fans finden. Daher gibt es auch aktuell so viele sich widersprechende Musikrichtungen gleichzeitig -> Vielfalt.

Gibt es irgendwann eine Gegenbewegung zur Vielfalt? Anti-Globalisierung, Ausländer raus, Mindestlohn für alle, Gleichschaltung der Gesellschaft?


Natürlich gibt es immer mehrere Strömungen nebeneinander, die z.T. sich um 180° widersprechen. Das muss auch so sein, denn z.B. ohne einen Thomas von Aquin, der den Grundstein der Rationalität setzt, wird sich nie die Mehrheit der Bevölkerung schließlich auch zu dieser Sichtweise überwinden.
Natürlich gibt es immer Leute, die "einfach anti" sind oder unübliche Sichtweisen vertreten. Und gerade diese werden so bekannt, weil sie Querdenker sind. Das ändert aber nichts daran, dass es immer große "Hauptströmungen" gibt, die ihre Auswirkungen auf Politik, Religion, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft haben müssen.


Zu deinem Blog-Eintrag, Josef:
Du hast dich sehr bemüht, ihn wissenschaftlich zu halten. Dazu gehört eine lückenlose Argumentation, eine Beweisbarkeit in Form von Quellenangaben und natürlich jede Menge verkürzende Fachwörter, damit die Aussage nicht noch länger wird. (Ich gebe zu: Ich habe NICHT alle verstanden!)
Für einen Geisteswissenschaftler oder einen Bibelforscher ist dein Beitrag sicher eine grandiose Fundgrube.
Für die "Unstudierten" und Uneingeweihten unter uns ist das allerdings sehr starker Tobak; das wär so, als würde ich nur noch in chemischen Formeln reden ;-)
Ich sage es ganz offen: Ich komme nicht mit (Obwohl mir dein Beispiel aus "Das Leben des Brian" richtig gut gefällt!)

Aber gut, es kommt ja wie gesagt auch immer auf die Zielgruppe an. Meine Doktorarbeit werde ich sicherlich nicht mit einem umgangssprachlichen Tonfall veröffentlichen dürfen...
SignaturLiebe Grüße,
Christian 1367 Sprüche
Dieser Eintrag wurde 2 mal editiert, zuletzt am Sa, 7. November 2009 um 14:27 Uhr
Sa, 7. November 2009, 16:57
Joy 4965 Sprüche
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Sooo ... erstmal muss ich leider sagen, dass auf meinem PC noch ein Eintrag zu diesem Thema schlummert, den ich nachliefern werde (ich war sicher, ich hätts schon eingetragen ...)

Ansonsten muss ich auch zustimmen .. auch ich habe das oft mitbekommen, dass auf Dinge, die man nicht mehr für gut erachtet teilweise recht auffallende Gegenbewegungen folgen. Nehmen wir einfach mal den Krieg und die Hippies ... aber es stimmt auch, dass solche Dinge nicht von heut auf morgen geschehen. Kaum was ist aprupt und die meisten Dinge müssen langsam entstehen. So wundert es mich nicht, dass teilweise einige Leute "nicht in ihre Zeit passten". Waren eben vorreiter.
SignaturJoy 4965 Sprüche

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~>:heart:<~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
joy

Sa, 7. November 2009, 17:27
Josef Bordat 97 Sprüche
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Also...
zunächst einmal, Tanja: Ich will für gewöhnlich niemanden „angreifen“ und auch nichts „kaputt reden“. Wenn mein Beitrag so rübergekommen ist, dann bitte ich um Entschuldigung.

Ich schätze Euer Engagement (nicht Jede/r um die zwanzig betreibt ein Web-Angebot für Aphorismenliebhaber!) und Eure gedankliche Tiefe bei der Behandlung schwieriger Fragen. Der Wunderbegriff gehört sicherlich dazu.

Nun hast Du aber, liebe Tanja, so ein bisschen meinen „wunden Punkt“ getroffen. Mich ärgert es nämlich, wenn immer so getan wird, als sei im Mittelalter alles dunkel, dumpf und dumm gewesen und dann kam (quasi aus dem Nichts!) das Licht der Aufklärung. Ich hatte so ein bisschen den Eindruck, dass Du so etwas in der Art denkst. Das halte ich aber für falsch, weil es die Leistung des Mittelalters schmälert und die Kontinuität von Entwicklung durch
Umbrüche in Frage stellt, die es in dieser Weise nicht gab. Meinen Ärger nun an Dir, Tanja, auszulassen, ist nicht ganz fair. Sieh es positiv: Es sollte Dir zeigen, dass ich Dich absolut ernst nehme und mit Dir (und allen Anderen) auf Augenhöhe diskutieren will.

Natürlich hatte der Durchschnittsmensch im Mittelalter nicht die Bildungschancen wie ein Durchschnittsmensch heute. Es ist sicher richtig, dass erst in der Frühaufklärung ein allgemeiner Bildungsanspruch aufkam. Aber dennoch sollte man nicht verkennen, wie dieser Durchbruch im Mittelalter vorbereitet wurde.

Tanja: „Schließlich sehnt man sich nach ein bisschen Vernunft, wenn alle um einen gottesfürchtig und verklärt sind, sowie man sich nach ein bisschen "darüber hinaus" sehnt, wenn alles rational und logisch ist.“

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das ein Gegensatz sein muss: Glaube und Vernunft. Zumindest für die mittelalterlichen Theologen war es keiner. Im Gegenteil: Glaube und Vernunft wurde als Einheit verstanden. Die haben nicht gesagt: „Mann, sind die hier alle fromm, wir müssen jetzt mal ein bisschen gegensteuern!“, sondern der Einsatz der Vernunft sollte dem Glauben an Gott dienen und der Glaube wiederum der Einsicht. Credo ut intelligam – Ich glaube, um zu verstehen. Das sagte einer der großen Denker des Mittelalters, Anselm von Canterbury.

Heute wird oft ein Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaft konstruiert. Na klar: Ich erwarte auch von einem Physiker eine andere Betrachtung der Welt als von einem Philosophen und von dem noch mal eine andere als von einem Priester. Aber bedeutet das, der Physiker ist vernünftig, der Priester emotional und der Philosoph irgendwie so in der Mitte? Ich glaube, die christliche Religion hat eine tiefe Rationalität. Das entspricht meiner Religiosität als katholischer Christ. Wenn ich bete, höre ich nicht auf zu denken. Ich sage nicht: So, jetzt gehe ich mal 5 Minuten meinen Bedürfnissen nach dem „Darüber hinaus“ nach und anschließend bin ich wieder rational.

Das mit der Pendelbewegung stimmt sicher für Stilrichtungen in Kunst und Kultur (Danke, Christian, für die Darstellung der Musikepochen!). Das habe ich auch schon festgestellt, etwa in der Literatur und der Architektur. Das Pendel bewegt sich recht schnell hin- und her, im Grunde immer schneller. Völlig klar. Was ich aber grundsätzlich bezweifle, ist, dass es eine Pendelbewegung von der Vernunft zum Gefühl (und umgekehrt) gibt. Ich weiß jedenfalls nicht, was vernünftiger ist: Musik mit oder ohne Gesang, strenge Kompositionsregeln oder keine Regeln, Rock oder HipHop? Ich kann sagen, was mir gefällt und was nicht, aber das sagt ja nichts über den Rationalitätsgehalt aus.

Vielleicht kommen wir auch nicht zusammen, weil ich einen anderen Vernunftbegriff unterstelle als Ihr. Vernunft ist für mich eben nicht nur die technisch-wissenschaftliche Vernunft des Erklärens, sondern auch die geweitete Vernunft des Verstehens. Aber das kann ich jetzt hier nicht weiter ausführen.
Literaturtipp: Manifestationen menschlicher Vernunft. Über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft

Tanja: „Nachdem schon einiger Ihrer Sprüche zu meinen Favoriten gehören, weil sie die Dinge so verständlich und gut auf den Punkt bringen, verstehe ich auch diesen Umschwung im Schreibstil nicht ganz.“

Einen „Umschwung im Schreibstil“ vorzunehmen – das ist manchmal nicht ganz verkehrt. Einen Liebesbrief sollte man anders aufsetzen als eine Widerspruchserklärung ans Finanzamt. In meinem Blog schreibe ich hauptsächlich für Kollegen aus den Fächern Philosophie und Theologie. Aber auch der interessierte Laie soll was davon haben! Der Hinweis auf Unverständliches ist mir deswegen sehr wichtig!

Dass mancher Aphorismus leichter verständlich ist, als die dahinter stehende Theorie, wenn sie mit wissenschaftlichem Anspruch vertreten wird, ist sicher so. Aufsatz und Aphorismus – das sind unterschiedliche methodische (und damit stilistische) Ebenen. Auch wenn sie inhaltlich das gleiche behandeln. Unter uns: Ich verstehe Einsteins Sprüche auch besser als seine Relativitätstheorie.

Mein Punkt in dem Blogartikel „Wunder“ ist einfach der: Lasst uns nicht nur von „Wundern“ reden, wenn jemand übers Wasser läuft, sondern lasst uns das Wunderbare der kleinen Dinge des Lebens erkennen und schätzen. Das sagt ja auch Augustinus, das es eigentlich um diese „Selbstverständlichkeiten“ geht.

„Historizität“ bedeutet Geschichtlichkeit, also das betrifft die Frage: War es wirklich so, wie wir es hören bzw. lesen?

Bis dann,
Josef
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt am Sa, 7. November 2009 um 17:31 Uhr
Sa, 7. November 2009, 21:23
Xian 1367 Sprüche
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Okay, lieber Josef, das kann ich gut nachvollziehen.

Das wir das Mittelalter als böse und dunkel betrachten ist aber nicht unsere Schuld. Das liegt an solchen düsteren Filmen und natürlich an den Fehlinformationen, die einem in der Schule vorgesetzt werden :-D
Vielen Dank für deine zusätzlichen Informationen.

Und ich denke, wir sind da alle einer Meinung, dass nicht "aus dem Nichts" Fortschritt kommt, sondern durch einige kluge Köpfe langsam entwickelt wird und die Gesellschaft dann mit der Zeit nachzieht.

Auch deine Sichtweise, dass Religion und Wissenschaft nicht unvereinbar sein müssen, finde ich sehr interessant. Das erste Mal mit dieser Sichtweise kam ich in Dan Browns "Illuminati" in Berührung, bei dem ein brillianter Wissenschaftler zugleich sehr gläubig ist. Das hat mir den (eingebildeten?) Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft erst so richtig vor Augen geführt.


Ich finde es überhaupt großartig, dass wir hier so eine anregende Unterhaltung führen können. Ich hatte oft das Gefühl, für viele sind die Gedanken "zu viel Text". Umso erfreulicher ist es, dass es doch einige gibt, die sich offen und kritisch mit fremden Standpunkten auseinandersetzen.
SignaturLiebe Grüße,
Christian 1367 Sprüche
Sa, 7. November 2009, 22:14
Tanja 5462 Sprüche
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Ich muss Christian zustimmen, es ist schön, dass hier so viele an der Diskussion teilnehmen. Ich fühle mich geehrt, das ihr euch den Text durchgelesen habt und auch bereit seit, dazu euren Standpunkt darzulegen. Dankeschön.
Zum Thema Wissenschaft und Religion habe ich übrigens noch einen Gedanken in der Hinterhand. Aber damit warten wir wohl, bis die Diskussion hier verebbt, und danach ist, wie ich das sehe, eh erst wieder Joy dran.
Marie, arbeitest du auch schon dran? :-)

Ansonsten: Ich denke immer noch, dass es irgendwo Strömungen gibt, die Wunder unterstützen, und solche, die sie eher hindern.
Vielleicht widersprechen sich Wissenschaft und Religion gar nicht. Aber wenn es den Menschen in einer Zeitspanne genügt, ein Wunder wissenschaftlich zu analysieren und dann zu sagen "es war gar nicht völlig unmöglich, dass es geschehen ist", um dann zum Alltag zurückzukehren, dann zeigt das aus meiner Sicht, dass diese Menschen kein wirkliches Interesse darin haben, einfach mal inne zu halten und "wow" zu sagen. Und wenn sie doch mal ihre Augen auf etwas unglaubliches Richten, dann steckt eher Sensationsgier dahinter, als dass deshalb irgendwer irgendwohin konvertieren würde.
Dann hatte der Toaster eben die Mutter Gottes auf das Weisbrot getoastet.
Wer nicht vorher schon fanatisch war, für den ist es Schwachsinn.

Ich gebe zu, ich habe es mir wahrscheinlich zu einfach gemacht, als ich die Strömungen benennen wollte. Vielleicht sind die Zeiten nicht so leicht zu trennen, in denen das eine obenauf war, oder das andere. Und man kann nicht für die ganze Bevölkerung sprechen. Und es heißt auch nicht, dass sie völlig unvernünftig sind, nur weil sie an Übernatürliches glauben.
Aber dass große Teile der Bevölkerung, beeinflusst durch die Kirche, ihre Bildung, den allgemeinen Wissenstand und prägende Erlebnisse für die Zeit, eine gewisse Grundhaltung gegenüber Übernatürlichem hatten, der Meinung bin ich noch immer.
Wenn der Mensch in allem möglichen zwischen Musik, Kunst, Schreibstil und Kultur schwankt, wieso nicht auch in seinem Umgang mit Übernatürlichem?
(ernst gemeinte Frage. Ich bin nicht böse drum, wenn sie mir negativ beantwortet wird.)

Zu Ihrem Blogeintrag habe ich Ihnen übrigens noch eine PM geschrieben, das würde hier zu ausführlich werden :-)
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Hope is the biggest lie there is, and it is the best.
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Allie Keys in "Taken"

So, 8. November 2009, 12:16
Josef Bordat 97 Sprüche
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Zu Deiner Frage
Tanja: „Wenn der Mensch in allem möglichen zwischen Musik, Kunst, Schreibstil und Kultur schwankt, wieso nicht auch in seinem Umgang mit Übernatürlichem?
(ernst gemeinte Frage. Ich bin nicht böse drum, wenn sie mir negativ beantwortet wird.)“

Vorab: Es gibt in der Geistesgeschichte kaum etwas, das sich eindeutig bestimmen lässt. Geschichte hat eben mit Menschen zu tun. Und Menschen sind wankelmütig.

Dass die Einstellung zum Übernatürlichen ständigen Schwankungen unterworfen ist (oft auch im Leben eines einzelnen Menschen!), ist sicher richtig. Und es lässt sich von 1500 bis 2000 (also vom Ende des Mittelalters bis heute) in Mitteleuropa auch eine „Tendenz zum Unglauben“ an das Übernatürliche erkennen – wenn wir es etwa an Gottesdienstbesucherzahlen festmachen.

Aber:

1. Dieser Trend läuft nicht linear oder zumindest nicht gleichförmig ab (es gibt erhebliche Schwankungen, die mit den Epochen nichts zu tun haben). Bsp.: 1973 glaubten 11% der Westdeutschen an Hexen, 1989 waren es 16% (laut Allensbach, zit. nach Richard Schröder: „Abschaffung der Religion?“, S. 209). Und dass, obwohl zwischenzeitlich der erste Westdeutsche im All war und in vielen westdeutschen Haushalten 1989 ein PC stand; 1973 wussten die allermeisten Westdeutschen noch nicht einmal, dass es so etwas überhaupt einmal geben wird.

2. „Unglaube“ lässt sich nur schwer erfassen, denn wer nicht mehr in die Kirche geht, geht vielleicht zum Dalai Lama oder zur Zen-Meditation oder zur Astro-Beraterin. Auch das sind Formen des Glaubens an das Übernatürliche. Hier und heute sind diese sehr verbreitet.

3. Wenn wir von einem abgeklärteren „Umgang mit dem Übernatürlichen“ sprechen, dann sprechen wir von Europa. In Afrika wurden in den letzten 35 Jahren weit mehr „Hexen“ getötet als in 350 Jahren Hexenverfolgung in Europa. Dort ist der Glaube an das Übernatürliche (in diesem Fall: „Schadenszauber“) in einer irrationalen Weise virulent, wie dies im europäischen Mittelalter nie der Fall war.


Ich würde sagen – um auf Deine Ausgangsthese zurückzukommen, Tanja – dass es sich bei der Frage des Verhältnisses zum Übernatürlichen um ein Metaphänomen handelt, das nicht mit den sonstigen kulturellen Phänomenen „mitschwingt“, eben weil Religiosität (als Art und Weise, das Verhältnis zum Übernatürlichen zu gestalten) keine rein kulturelle oder soziale Ausdrucksform ist wie Tanz, Musik, Kleidung etc., sondern als Lebensform die verschiedenen kulturellen Ausdrucksformen prägt, die auch auf die Formen der Religion zurückwirken, aber diese eben nicht ganz umfassen. So gibt es heute Bands, die christliche Texte mit Rock- oder HipHop-Musik unterlegen. Und natürlich prägt der Musikstil auch den Text. Nicht nur den: auch die Körperhaltung beim Mitsingen. All das gehört aber zum Kultus von Religiosität. Der schwingt mit der Zeit, ganz klar. Aber der Grund für den Kult, der Glaube an Gott als Lebensform, bleibt gleich.

Liebe Grüße,
Josef
Di, 10. November 2009, 19:37
Joy 4965 Sprüche
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Hier nochmal mein Eintrag, den ich geschriebven hatte, nicht abschicken konnte und daher nachliefere *grins*
Du schätzt mich ganz richtig ein, meine kleine Tatzy. Ich sitze vor dem Bildschirm und mein Kopf wirbelt wie ein Tornado. Natürlich gibt es Wunder. Punkt. steb-studio^ hat das hervorragend auf den Punkt gebracht. Wir sind nur zu blind und zu tab dafür. Wir sind einfach zu abgehärtet und halten so unglaublich viel für möglich, dass Wunder ("sich wundern") einfach zur Gewohnheit geworden sind. Wer hier kennt "die himmlische Joan" (Fernsehsehrie)? da begegnet einem ganz normalen - nicht umbedingt gläubigen - Mädchen Gott. Wir können uns vorstellen, wie das abläuft! In dieser zweifelnden Gesellschaft verlangt sie nach einem Beweis!
Zitat von die himmlische JoanJoan: "Du bist Gott? Dann zeig mir ein Wunder!" Gott und Joan wandern herum. Er überlegt, bleibt stehen und sagt: "Hier haben wir ja eins". Joan (ungläubig): "Das ist ein Baum!" Gott: "Versuch mal, einen zu machen!"
Was hierbei sehr deutlich (Ich liebe diese Szene!) gezeigt wird ist, dass die wirklichen Wunder einfach zur Gewohnheit geworden sind. Wir nehmen sie nicht mehr wahr, bewundern sie nicht mehr, wundern uns nicht mehr darüber, sondern zucken mit den Schultern und sagen: "Wird schon so sein".
Bei Bruce Allmächtig das gleiche:

Parting your soup is not a miracle Bruce,
it's a magic trick.
A single mom who's working two jobs,
and still finds time to take her son to soccer practice,
that's a miracle.
A teenager who says "no" to drugs and "yes" to an education,
that's a miracle.
People want me to do everything for them.
What they don't realize is they have the power.
You want to see a miracle, son?
Be the miracle.

God in "Bruce Almighty"

Ich bringe gerne noch ein weiteres Beispiel an, bevor ich zu meiner eigenen Meinung komme. Es gibt ein Musical über Elisabeth von Türingen (sollte eigentlich jeder kennen, die Geschichte mit dem Brot, dass ich in Rosen verwandelt!). Dort gibt es ein Lied "Wunder oder Wahrheit". Ich zitiere einfach mal einige Textstellen daraus:
Zitat von Wunder oder WahrheitWas ist ein Wunder?
Euch stell ich diese Frage
Ihr Menschen der Moderne
Was wundert euch hoch heutzutage?
Im Zeitalter der Technik
des Fortschritts und der Wissenschaft
Da wird einem das Wundern
Auch nicht grade leicht gemacht!

Kaum ein Zauber, der noch nicht entzaubert ist
Kaum ein Rätsel, das noch nicht enträtselt ist
Kaum ein Mythos, der nicht irgendwann
Sein Geheimnis auch verliert
Das macht die Sache mit den Rosen etwas kompliziert
[...]
Phänomene und Mirakel
Füllen die Heiligenberichte
Die Legende macht den Helden
Und der Held macht die Geschichte
Was ist die wahre Größe
Die die Heiligkeit beweist
Wenn doch so manches Wunder heute
Keinen mehr vom Hocker reißt

Himmel, Hölle, Fegefeuer haben sich nicht bewährt
Auch über die Vernunft hat uns Kant längst aufgeklärt
Urknall gegen Genesis, die Bürde unsrer Zeit
Glaube wird zur komplizierten Angelegenheit!
Refrain:
Wunder oder Wahrheit
Rosen oder Brot?
Ist das wirklich eine Frage
Die die Heiligkeit bedroht?
Eins schieb ich noch zwischen. Es gibt in unserem Forum eine kleine Geschichte: "Ströme des Segens":
Zitat von Nischa 939 SprücheEin Mensch flüsterte: „Gott, sprich zu mir!“ und eine Lerche sang, aber der Mensch hörte sie nicht. Da rief der Mensch laut: „Gott, sprich zu mir!“ und der Donner rollte über den Himmel, aber der Mensch hörte nicht. Da sah der Mensch sich um und sagte: „Gott, ich will dich sehen!“ und ein Stern leuchtete hell, aber der Mensch bemerkte es nicht. Und der Mensch rief: „Gott, zeig mir ein Wunder!“ und ein Leben wurde geboren, aber der Mensch wusste es nicht. Da schreit der Mensch voller Verzweiflung: „Berühre mich, Gott, und lass mich spüren, dass du da bist!“ Da streckte Gott seinen Arm aus und berührte den Menschen, aber der Mensch schnippte den Schmetterling einfach weg und ging davon.
Ich denke, diese (wie ich finde sehr schöne) Geschichte zeigt die menschliche Ignoranz gegen Gottes Wunder sehr deutlich und anschaulich ...

Was Uri Geller angeht ... Menschen, die über wahre Fähigkeiten verfügen, die nutzen sie um das Richtige zu tun und nicht, um sich zu Publizieren (meistens) und würden sich also auch nicht für eine Show wie "The Next Uri Geller" verkaufen. Die haben besseres zu tun.

Ich denke, als Wunder erleben viele Menschen das, was andere eine "Offenbahrung" nennen würden ... einfach etwas durch und durch Gutes und Weltveränderndes. Dabei vergessen sie aber, dass die wahren Wunder eigentlich eher im Dunkeln, unbemerkt und nach und nach geschehen. Nicht auf einmal, sondern als Entwicklung.

Stimmt. Wunder werden daher nicht angenommen, weil der verborte Mensch Angst vor allem hat, was er nicht versteht. Und die, die sich darauf einlassen, die sind gleich verrückt. Ich meine, wie viele Menschen gibt es, die plötzlich anhalten um einem Vogel zuzuhören, einem Käfer zuzusehen oder den Fluss zu betrachten? Wunder, finde ich, sind überall. Aer wir haben es zu eilig und sind zu ängtlich, um sie zu entdecken. Wunder jedoch sind schöne (!) Dinge, die sich der MEnsch nicht erklären kann .... und das hasst er! Also sucht er entwender nach einer Erklärung oder es fühlt sich nicht gut an. UNd damit ist es so oder so kein Wunder, obgleich es so begonnen hat.
SignaturJoy 4965 Sprüche

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joy

Di, 10. November 2009, 19:50
Tanja 5462 Sprüche
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Okay, Marie. Wunder werden also nicht gesehen, weil Menschen das Alltägliche nicht beachten wollen oder ihnen Dinge unangenehm sind, die sie sich nicht erklären können.
Zweiteres sehe ich ein, das war ja auch meine Schlussthese.
Bei Ersterem... hm.

Es gab durchaus Zeiten, in denen Menschen Wunder sahen. Sonst hätten die Menschen wahrscheinlich gar kein Wort dafür. Und das waren nicht nur Menschen, die den ganzen Tag aufmerksam wie Sau waren, und vor jeder Blume in Staunen verfallen sind.
Die alltäglichen Wunder gab es schon damals.
Aber es sind die Außergewöhnlichen, mit denen die Bibel mehr Zeit verbringt.

Das waren Gelähmte, die spontan wieder liefen, Blinde, die wieder sahen, Menschen, die übers Wasser spazierten, Fischernetze, die sich zu einer eigentlich ungünstigen Zeit noch und noch mit Fischen füllten, Engel, die so vor sich hin erschienen, Tausende, die von ein bisschen Brot und Fisch satt wurden und ein Himmel, der sich auftut, damit eine Stimme daraus spricht.

Das war kein Schmetterling, der einem unterschwellig eine Botschaft vermittelte.
Sind die Menschen damit so anders umgegangen, als wir heute?

Ich vermute, ohne heutige Arzneimittel, mit mehr Kindern, verhältnismäßig häufigerem Krieg und einem Klima, dass teilweise an Wüste grenzt, hatten die Menschen damals andere Probleme. Ich weiß, sie hatten auch einen anderen Wissensstand. Aber siehst du, ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Witwe mit drei kleinen Kindern am Arm beim Wasserholen vor einem etwas klapprigen Baum stehen bleibt, um zu sagen:
"Hey, hat Gott den nicht klasse gemacht? Also ich könnte das nicht."

Also vermute ich, die Menschen waren zwar vielleicht naiver im Hinterfragen. Aber ich glaube nicht, dass sie einer "Banalität" gegenüber aufgeschlossener waren.
Und trotzdem wurde damals das Meer mit einem Stock geteilt.
Deine Erklärung trifft deshalb, aus meiner Sicht, nur einen Teil.
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Allie Keys in "Taken"

Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt am Di, 10. November 2009 um 20:21 Uhr
Sa, 14. November 2009, 13:21
Joy 4965 Sprüche
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Mann! Du kannst nicht jedes Märchen für wahr nehmen, mein Schatz!
Glaub mir, das Meer wurde NICHT mit einem Stock geteilt. Genau wie bei Mythen wurden übermenschliche Leistungen mit den Jahren noch mehr geschönt und ausgeschmückt und so wurde aus jemanden, der einen Damm brechen lies, als die Agypter kamen, jemand, der ein Meer geteilt hat. (Nein, ich halte die Sache mit dem Damm nicht für die Lösung, aber es plastiziert es ganz gut, denke ich ...)
SignaturJoy 4965 Sprüche

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joy

Sa, 14. November 2009, 13:25
Xian 1367 Sprüche
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Das bedeutet also, dass die Leute heutzutage eine viel zu große Erwartung an Wunder haben, einfach weil sie mit der Zeit so "hochgepusht" worden sind?

Und deshalb können die Menschen keine Bäume und Naturschauspiele als Wunder betrachten, weil damals irgendjemand übertrieben hat und alle sich sagen "Ein Wunder soll das sein? Damals, da gab es noch echte Wunder!" ?
SignaturLiebe Grüße,
Christian 1367 Sprüche
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