Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedanken
Karl KrausDer Spruch darf mit Autorenangabe frei verwendet werden, da die urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist († 12. Juni 1936) Zur Autorenbiographie
Mutter heißt: Die Sprache ist zuerst da, sie erzeugt den Gedanken.
Magd heißt: Gedanke ist zuerst da, und die Sprache das Mittel zum Zweck, um sie weiterzugeben.
Prinzipiell denke ich, dass man einen Gedanken zuerst in sich trägt, und ihn dann formuliert, um ihn auch weiterzugeben.
Vielleicht braucht man aber auch ein bisschen die Sprache, um einen Gedanken erst fassen zu können. Sonst bleibt der Gedanke auf der Ebene des Gefühls - da ist irgendwas, aber man kriegt es nicht zu greifen.
Ich glaube, ich hatte das Problem in der Grundschule manchmal. Zum Beispiel, als unsere Lehrerin (die ich sowieso schon nicht möchte) zu einem türkischen Jungen (sinngemäß) sagte: "Wenn es dir nicht passt, wie ich hier bestrafe, dann kannst du ja wieder in dein Heimatland gehen. Dort wirst du für soetwas verprügelt"
Ich war stinksauer auf sie. Aber solange ich nicht sagen konnte, dass das diskriminierend ist; dass er keinen Einfluss darauf hatte, dass er hier lebt; dass die Zustände in einem anderen Land nicht bedeuten, dass die Menschen sie dort verdient hätten - solange war das eine ungerichtete Wut. Ich wusste, etwas ist nicht richtig, aber ich konnte es nicht sagen. (Ich habe übrigens noch immer das Gefühl, es nicht auf den Punkt gebracht zu haben.)
Es war mehr ein Gefühl als ein Gedanke.
Ich muss dabei immer an die Formulierung von Michael Ende in Momo denken: „Dazu müssten die Worte dafür in dir erst wachsen.“
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Hope is the biggest lie there is, and it is the best.
We have to keep going as if it all mattered, or else we wouldn't keep going at all.
Allie Keys in "Taken"
also, ich glaub ja nicht, dass das nach dem Motto "Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?" funktioniert.
Ich meine, bevor ich etwas sage, hab ich doch was im Kopf - sprich, einen Gedanken.
Und manchmal lassen sich Sachen ja auch gar nicht in Worte fassen.
Habt ihr "1984" von George Orwell gelesen?
Darin gibt es "Neusprech" - eine permanente Umdeutung der Sprache, die viel mit Konnotationen arbeitet. Ich bin nicht sicher, ob das so vorkommt, aber "Zwang" wäre in Neusprech zum Beispiel eindeutig ein positiv klingendes Wort. Etliche Worte, mit denen ich die Freiheit hätte beschreiben lassen, wurden abgeschafft.
Ich Dritten Reich wurde "rücksichtslos" ebenfalls zu einem positiven Begriff ungewandelt: es war eher Durchsetzungsfähigkeit und Konsequenz. Und mit "Kinder-Eutanasie" und "Endlösung" waren die Nazis auch gut in Euphemismen.
Was ist die Folge? Ereignisse und Werte werden anders wahrgenommen, man denkt positiver über etwas.
Das ist auch der Zweck der Diplomatie: Der andere erfährt die Wahrheit, aber er nimmt sie positiver auf. Womit die Gedanken durch die Worte beeinflusst werden.
Wenn ich an eine Ratte denke, dann habe ich viel leichter eine negative Assoziation im Kopf, als bei einer Spitzmaus. Eine Blaumeise kann nichts Böses wollen - ein Rabe vielleicht schon eher.
Dabei habe ich mit diesen Tieren kaum persönliche Erfahrung. Ich wüsste auch abgesehen von der Verbreitung der Pest keine Gefahr, die von der Ratte ausgeht. Aber es gibt eben Tiere, die schon im neutralen Wort eine gewisse Färbung haben.
Irgendeinen Einfluss auf unsere Gedanken hat die Färbung der Sprache doch wohl schon, oder?
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Allie Keys in "Taken"
Das stimmt, manche Namen sind einfach mit einem Vorurteil behaftet.
Das war auch, als Bram Stoker 1897 (oder so) "Dracula" geschrieben hat - davor wäre niemand auf die Idee gekommen, den Namen "Dracula" mit "Vampir" in Verbindung zu bringen. heute sind das ja schon fast Synonyme.
Aber liegt es dann aber der Sprache oder an der Landesmentalität?
Ich glaube nicht, dass Sprache Gedanken allzu groß beeinflussen kann.
Es gibt unzählige Gedanken, die sich einfach nicht in Worte fassen lassen.
Ich denk da immer gerne an diesen Spruch hier:
Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.
Kennst du das, wenn du Musik hörst (instrumentale am besten) und sie ruft ein bestimmtes Gefühl hervor.
Jetzt versuch mal, jemandem, der das Musikstück noch nie gehört hat, dieses Gefühl nur mit Worten zu vermitteln - ohne Musik als Stütze.
Das geht einfach nicht. Solche Dinge reichen über Worte hinaus. Gedanken reichen über Worte hinaus.
Bis hierhin stimme ich dir zu - nur nicht dem nächsten Satz:
Musik kann mitunter Dinge besser vermitteln, als die Sprache das kann.
Jeder, der schonmal mit einer Ikea-Bauanleitung gearbeitet hat, weiß auch, dass Bilder die Dinge mitunter leichter verständlich machen, was Worte das könnten.
Genauso kann ein Tanz unheimlich viel Ausdruckskraft haben.
Und selbst innerhalb der Sprache spielen die Satzmelodie und die Stimme mitunter eine größere Rolle, als die Aussage selbst.
Und gleichzeitig: Versuch mal, eine Geschichte nur durch Melodien zu erzählen. Oder erkläre jemandem mit Bildern den kategorischen Imperativ.
Musik und andere Kunstformen mögen, wie die Sprache, ein Mittler des Gedanken sein (und wie ich denke, manchmal eben auch ihr Ursprung). Und sie können in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich gut eine Aussage rüberbringen.
Das heißt aber nicht, dass die Musik der Sprache überlegen ist. Sie hat eben nur ihre "Ebene".
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Allie Keys in "Taken"
Aber trotzdem: ich wage ja sehr zu bezweifeln, dass die Sprache vor Bildern und Musik da war.
Es gibt vieles, was man nicht in Bilder/Musik fassen kann - aber ich glaube, es gibt mehr, was man nicht in Worte fassen kann.
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