Wenn wir das Wort „Religion“ hören, haben wir alle ein ähnliches Bild im Kopf: ein Kreuz, die Bibel, den Papst, ein Dom… das war’s eigentlich schon.
Ach, und Sonntag früh aufstehen. Weil da ist ja Gottesdienst. Und diese zehn Gebote. Wie war das nochmal? Du sollst deinen Nächsten lieben? Du sollst keine Götter neben mir haben? War da noch was?
Tatsächlich geht das Wissen vieler darüber nicht hinaus. In unserer Zeit haben viele Menschen das Interesse an der Religion verloren. Aber wirklich an der Religion? Oder nur an der Kirche?
Erst mal klingt die christliche Religion doch gar nicht schlecht: Jesus kommt auf die Erde, begeistert alle, verspricht das Paradies, Erlösung von den Erdenqualen. Vor zweitausend Jahren wären wir ihm vermutlich alle gefolgt. Aber heute?
Heute müssen wir für unser Paradies ganz schön schuften – jeden Sonntag in die Kirche gehen, immer lieb und brav sein, andächtig, gottesfürchtig, wenn uns auch nur ein böser Gedanke in den Sinn kommt, sofort beichten.
Wollen wir dann noch das Paradies?
Ich will nicht ins Paradies,
wenn der Weg dorthin so schwierig ist
Die Toten Hosen - Paradies
Aber sollte dieser Weg das nicht sein? Es gibt unzählige Geschichten darüber, dass der Pfad in den Himmel der beschwerliche, der in die Hölle der bequeme ist.
Aber soll sich dieser beschwerliche Weg tatsächlich so gestalten, dass es uns schwer fällt, sonntags aufzustehen? Jesus hat sich foltern und umbringen lassen, um in den Himmel zu kommen – und Unzählige nach ihm. Und uns kostet es schon Überwindung, in die Kirche zu gehen?
Ja. Ja, so ist es. Viele sind vielleicht zu faul, haben keine Lust, ihren freien Sonntag in der Kirche zu verbringen. Heißt es nicht in der Bibel „Am siebten Tage sollst du ruhen“? Sollten wir dann nicht ruhen, also ausschlafen, entspannen, abschalten – nichts tun?
Überhaupt, war es wirklich die Intention von Jesus, dass wir uns riesige Gotteshäuser bauen und ihn anbeten? Ich glaube nicht.
Er hat gesagt: „Wenn zwei oder mehr versammelt sind in meinem Namen, dann bin ich mitten unter ihnen“. Da steht nichts von wo und wie.
Gottesdienst. Das klingt wie eine Aufgabe, etwas, das einem auferlegt wurde, das erfüllt werden muss. Und für die meisten ist es der lästige, zeitraubende Gang in die Kirche.
Aber wollte Jesus das? Hätte es ihm nicht genügt, wenn sich einfach ein paar Leute zusammengesetzt und eine schöne Zeit gehabt hätten? Genügt es diesem Gott nicht, wenn wir einander Gutes tun? Müssen wir ihn dabei auch noch anbeten?
Die Bibel ist voll mit den Aufrufen, nicht auf offener Straße zu beten, wo es alle sehen, nicht so zu fasten, dass es jeder mitbekommt – sondern im Stillen, wo es hingehört. Allein mit Gott. Denn der sieht schließlich alles.
Sieht er dann nicht, dass sich manche still und leise in einem Haus treffen und sich einen Laib Brot teilen? Sollte das nicht genug Gottesdienst sein?
Ist es nicht schon Gottesdienst, wenn wir Zivilcourage zeigen? „Denn was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Wer Schwächere verteidigt, dient doch in gewisser Weise Gott, oder? Er hilft. Und das ist genau das, was Jesus getan hat. Er hat den geringsten seiner Brüder geholfen.
Und hilft es denn, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen und in unpersönlichen Phrasen einen Gott anzubeten, der das am Ende vielleicht gar nicht wollte?
Ob es Gott nun gibt oder nicht, ob er nun hilft oder nicht – ich glaube, wenn man persönlich, ganz für sich allein, ein eigenes Gebet in den Himmel schickt, fühlt man sich danach besser, als wenn man einfach nur ein Vater Unser oder ein Ave Maria herunter rattert.
Wer als Christ aufgewachsen ist, hat diese Gebete schon als Kind auswendig gelernt – und spult sie einfach immer wieder ab. Was ist daran noch ehrfürchtig Gott gegenüber? Es ist nur eine Endlosschleife von Phrasen, die uns schon längst nichts mehr bedeuten.
Schon gar keine Gottesfurcht. Überhaupt, Furcht – sollten wir Angst vor diesem Gott haben? Ist er nicht ein liebender, verzeihender Gott? Laut unserem Glauben ist der das – aber warum knien wir dann nieder in der Kirche, warum senken wir den Blick? Wie kommt es, dass wir uns vor ihm fürchten?
Es sollte keine Gottesfurcht sein. Auf keinen Fall. Respekt. Das wäre das richtige Wort. Denn verdient nicht der Respekt, der für uns gestorben ist? Warum sollten wir Angst vor ihm haben? Ich habe keine Angst vor ihm. Nur den größten Respekt. Wenn Jesus keine Anerkennung verdient, wer denn dann?
Wenn ich eines Tages in den Himmel komme, werde ich jedenfalls nicht vor Gott niederknien. Ich werde auch kein Vater Unser aufsagen oder ihn um Verzeihung meiner Sünden bitten.
Ich werde zu ihm gehen und sagen: „Hier bin ich – ich habe geliebt, Freunde gehabt, mich gestritten, gerauft, gekämpft, gelogen, Fehler gemacht, andere verraten, ich habe Kinder groß gezogen und versucht, eine gute Mutter und Großmutter zu sein, ich war eine große und eine kleine Schwester, ich war eine gemeine und eine tolle Schwester, ich habe gelacht und geweint, geflüstert und gebrüllt, ich war traurig, ich war wütend, ich war nett, ich war gemein.
Ich bin auch ab und zu in die Kirche gegangen, aber meistens nicht gerne, ich habe die Bibel nie gelesen, weil sie so langweilig geschrieben ist, ich habe viele Geschichten doof gefunden, aber die von Jesus echt super, ich hab mir manchmal gedacht, was Gott für ein Idiot sein muss, dass er das passieren lässt, aber manchmal hab ich verstanden, was das sollte.
Ich habe meinen Kindern und Enkelkindern und Jesus erzählt und ich habe ihnen gesagt, wenn sie Gott suchen wollen, dann sollen sie nicht in den Kirchen suchen sondern in ihren Herzen.
Ich habe gelebt und das lange genug.
Nun bin ich hier mit allen meinen Stärken und Schwächen, mit meinen Talenten und meinen Fehlern.“
Und wenn Gott dann sagt, dass ich ihm mit deinen Fehlern nicht gut genug bin, dann kann er mich gernhaben.
Aber ich glaube nicht, dass Gott das sagt. Ich glaube, dass er sagen wird: „Gut gemacht. Du hast das Leben gelebt, das ich allen Menschen wünsche. Komm herein, deine Familie wartet schon auf dich.“
Denn Gott ist ein liebender, verzeihender Gott. Ihn stört es nicht, wenn wir Fehler machen. Ihn stört es nur, wenn wir unsere Fehler nicht erkennen.
Und wenn wir unsere Fehler nicht bereuen, egal – solange der Moment gut war. Solange wir das Leben gespürt haben. Solange wir geliebt haben.
Denn vielleicht ist Gott genau das – Liebe.
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