Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos.
Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern.
Das Ende der Welt ist nahe.
Keilschrifttext aus Ur um 2000 v. Chr.
(Spruch 9330)
Als ich etwa fünf Jahre alt war, waren an den Holzbalken der Geräte auf dem Spielplatz große Brandflecken zu sehen. Meine Mutter meinte, das wären die Jugendlichen gewesen. Zigarettenkippen und eine kaputte Bierflasche lagen im Sand. Mir war bereits von den Graffiti unter der Brücke her bekannt, dass Jugendliche ziemlich widerliche Wesen sein mussten.
Deshalb kam ich nach kurzem zu dem Entschluss, ich würde einfach so lange Kind bleiben, bis ich erwachsen wäre. Damit wäre dieser offenbar überflüssige Abschnitt übersprungen.
Erwachsene waren das volle Gegenteil zu Jugendlichen. Sie lachten über Dinge, die ich nicht verstand, kommentierten politische Angelegenheiten, die guten Noten
ihrer Kinder, das schlechte Benehmen
anderer Kinder, den Ärger, den sie in letzter Zeit mit Rückenschmerzen hatten und den Erfolg mit der neuen Kaffeemaschine. Was sie sagten, klang distaziert und überlegen, objektiv und natürlich immer richtig und wahr. Dass ich kein Wort verstand, zeugte für mich davon, dass es wichtige Angelegenheiten waren, für die ich noch zu klein war.
Mittlerweile hat sich meine Sichtweise etwas geändert. Ich glaube, das Kinder große verzogene Nervensägen sein können. Allerdings sind die meisten, wenn man sich Mühe mit ihnen gibt und ihnen zuhört, faszinierende Wesen, mit Sichtweisen, die man längst wieder vergessen hat.
Mitunter nehmen sie Dinge wichtig, die Erwachsene nicht nachvollziehen können. Wieso streitet ein kleines Mädchen minutenlang mit ihrem Bruder darum, wer auf der vordersten Sitzbank im Bus sitzen darf, direkt vor dem Fenster, wenn es sich um eine Fahrt von sieben Minuten handelt? Sie kann diese Dinge schwer begründen. "Weil ich da sitzen mag" und "Weil das gemein ist". Zum größten Teil ist es wahrscheinlich die Angst, etwas zu verpassen. Aber dafür fehlen ihr die Worte, und als Argument ist es sowieso nur mäßig überzeugend.
Auch große Menschen regen sich über Banalitäten auf, die sie ebenfalls nicht vernünftig begründen können, und haben dafür Sätze erfunden wie "das ist doch nicht mehr normal" oder "Soetwas braucht man sich gar nicht gefallen zu lassen". Ich habe Erwachsene erlebt, die sich das Maul über Menschen zerrissen, auf die sie neidisch waren. Die von ihren Kindern schwärmten, um mit deren Ruhm zu glänzen. Und trotzdem fühlen sie sich den Kindereien und überflüssigen Streitereien von Kindern weit überlegen.
Ich schätze, kein Alter ist dem anderen allzu weit vorraus.
- Phantasie, Hinterfragen und tiefes Vertrauen in jeden Menschen, Naivität, (Kindheit)
- werden irgendwann abgelöst von einer eigenen Meinung und dem Willen, alles ändern zu wollen. (Pubertät)
- Das wird abgedämpft durch ein gewisses Maß an Vernunft, die Kompromisse zulässt (Erwachsener)
- und später ersetzt durch die Erfahrung, mit der man weise Entscheidungen trifft, aber sehr unflexibel sein kann, weil sie in einer anderen Zeit angeeignet wurde. (Senior)
Irgendwo hat jedes Alter seine Tücken. Und alle anderen Altersstufen, die diese Tücken nicht kennen oder wieder vergessen haben, können sich herrlich darüber aufregen.
Die verschiedenen Altersstufen des Menschen
halten einander für verschiedene Rassen:
Alte haben gewöhnlich vergessen,
dass sie jung gewesen sind,
oder sie vergessen,
dass sie alt sind,
und Junge begreifen nie,
dass sie alt werden können.
Kurt Tucholsky 
Der Spruch darf mit Autorenangabe frei verwendet werden, da die urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist († 21. Dezember 1935)
Zur Autorenbiographie
(Spruch 21450)
Umso besser tut es, wenn der ganze Generationenunterschied einen Moment lang wegfällt. Christian hat mir vor ein paar Tagen begeistert davon erzählt, dass sein Bus scharf bremsen musste und eine ältere Dame, die schon an den Aufgangstüren bereit stand, der Länge nach hinfiel ( - nein, das Gute kommt noch). Augenblicklich standen andere Mitfahrer um sie herum. Zwei junge Männe halfen ihr auf, ein junges Mädchen um die 18 redete ihr gut zu, eine andere ältere Frau fragte sie, ob sie was verloren habe und beruhigte sie und ein Mann, etwa 30, bot ihr an, sie ins Krankenhaus zu fahren. Die Dame war sich nicht sicher, ob sie ihre Brille verloren hatte, und schon war der ganze Bus auf den Beinen und guckte unter die Sitze.
Es ist schön, wenn sich Vorurteile nicht bewahrheiten und man feststellt, wie gleich wir doch alle sind, und wie wir das Gefühl, was zu tun ist, im Zweifelsfall doch alle in uns haben. Vorrausgesetzt, man bringt die Toleranz auf, das anzuerkennen.
Älterwerden ist kein Verdienst.
Man muss unheimlich wenig dafür tun,
dass man mit der Zeit seine Rechte bekommt,
und oft auch den Respekt der Jüngeren.
Durch diese Privilegien vergisst man schnell,
dass man eigentlich nichts dafür geleistet hat,
und hält sich für ein Stück weit überlegen,
vor den Kindsköpfen und Grünschnäbeln.
Kimberly B. Kolbe 
Nichtkommerzielle Verwendung des Spruches mit Autorenangabe ausdrücklich erlaubt
(Spruch 21451)
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